Geräusche von Innen: Musik und der Kuleschow Effekt im Film Die Wand

Brianna Bean, Butler University

Musik ist ein wichtiger Teil jedes Films, weil Musik die Emotionen der Zuschauer so stark manipulieren kann. Es gibt wenig Musik in Julian Pölslers Film, Die Wand, aber die Musik, die es gibt, ist wichtig, weil sie eine unerwartete Tiefe in den Film bringt. Der Film beginnt mit einem fröhlichen Popsong, darauf folgen verschiedene Klänge, die sich im Film wiederholen und die ich hier als „Musik“ lese und analysiere. Schließlich gibt es wiederholt Stücke der Partita Nummer Zwei für Violine von J. S. Bach. Diese Musikbeispiele drücken das zentrale Filmthema der Selbstisolation aus. Wegen des Popsongs zu Beginn merken die Zuschauer, dass sie genau auf die Musik achten müssen, weil er wie ein Bild spricht und die Handlung kommentiert. Der Liedtext erzählt wortwörtlich, wie die Zuschauer die Szene verstehen sollen, weil es wenig Handlung in den Szenen gibt. Die Einleitung zeigt, dass die verschiedenen Musikformen des Films beabsichtigt sind, weil die Musik den Sinn der Szenen erklärt. Der Popsong und die Klänge sind wichtig für den Verständnishintergrund, aber die Stücke von Bach sind am wichtigsten, weil sie die Gefühle der Hauptperson durch den Kuleschow Effekt verdeutlichen.          

Der Kuleschow Effekt ist eine Filmschnitttheorie, die von Lew Kuleschow 1921 erfunden wurde. Er zeigte verschiedene Bilder nebeneinander, die normalerweise nichts miteinander zu tun haben, die aber in einer bestimmten Reihenfolge unterschiedliche Gefühle bei den Zuschauern hervorrufen sollen. Zum Beispiel zeigt er zuerst das Bild einer Tasse Suppe und direkt danach das Video eines Mannes, der eigentlich ausdruckslos in die Kamera starrt und ganz unbewegt bleibt. Der Zuschauer interpretiert, dass der Mann Hunger hat. Kuleschow zeigt anstatt der Suppe ein Mädchen, das in einem Sarg liegt. Danach sieht man wieder dasselbe Video des Mannes, aber dieses Mal verstehen die Zuschauer die Szene komplett anders, weil das erste Bild sich verändert hat. Jetzt erscheint der Mann traurig statt hungrig („Kuleschow-Effekt“). Kuleschow beweist, dass die Nebeneinanderstellung eines Bildes, hauptsächlich ein Bild einer ausdruckslosen Person, und einem zusätzlichen Bild von einem Objekt, eine Geschichte erzählen könnte, weil man automatisch das zusätzliche Bild mit einem spezifischen Gefühl assoziieren würde. Die Änderung ergibt sich aus dem Filmschnitt, und “Kuleschov claimed that the editing made viewers assume that the actor’s expression changed, so that the cutting actually created the performance” (Bordwell 228). 

In Die Wand ist die Hauptfigur eine völlig ausdruckslose Person, und es ist die Musik anstatt eines Bildes, die die Hauptfigur in der Vorstellung der Zuschauer ändert. Ich argumentiere am Beispiel des ausdruckslosen Gesichts der Hauptfigur, dass Pölsler den Kuleschow Effekt durch die Nebeneinanderstellung bestimmer Bilder und der begleitenden Musik und Geräusche erreicht.  Die Musik fungiert wie die Kuleschowschen Hilfsbilder, da weder die Musik noch die Bilder allein stark genug sind, um Gefühle der Hauptfigur auszudrücken. Die Zuschauer analysieren selbst die Gefühle der Frau und deshalb sind verschiedene Interpretationen möglich. Der Effekt ist durch die Partita Bachs am stärksten, aber man muss davor die Wirkung des Popsongs und der Geräusche erkennen, um den Kuleschow Effekt in der Partita zu verstehen.

Bevor ich einzelne Szenen analysiere, fasse ich den Film kurz zusammen: 2012 hatte Die Wand seine Uraufführung bei den 62. Internationalen Filmfestspielen Berlin. Die Schauspielerin Martina Gedeck in der Hauptrolle spielte eine namenlose Frau, die sich allein in einem österreichischen Wald wiederfindet. Sie reist zusammen mit Freunden in den Wald. Die Freunde gehen am ersten Abend ins Dorf, und die Frau bleibt im Jagdhaus zurück. Als die Freunde nicht zurückkommen, will die Frau sie suchen, aber auf dem Weg zum Dorf stößt sie plötzlich auf eine unsichtbare Wand, die sie nicht durchqueren kann. Durch diese Wand ist sie auf einmal ganz allein mit Luchs, dem Hund ihrer Freunde, und einer Kuh, einem Stier und zwei Katzen. Zusammen leben sie im Wald, und sie lernt, wie man sich von der reinen Natur ernähren kann. Die Frau schreibt und erzählt ihre Geschichte auf der Rückseite eines Kalendars, und der Film visualisiert in Rückblenden die Erinnerungen der Frau im Wald. Der Film basiert auf dem Buch Die Wand von 1963 der österreichischen Autorin Marlen Haushofer. Obwohl es seit seiner Veröffentlichung berühmt und beliebt ist, galt das Buch früher als unverfilmbar. Pölslers Film, der komplex und detailliert ist, hat die Meinung der Unverfilmbarkeit widerlegt, vor allem durch seine geschickte Zusammenstellung von Bildern und Musik.

Der Film beginnt mit einem fröhlichen Popsong, der eine optimistische Stimmung erzeugt, die im Hinblick auf später komplett irreführend ist.  Die Frau und ihre Freunde, Hugo und Luise, sitzen im Auto, und sie hören das Lied „Freedom is a Journey“ im Radio. Die Freunde fahren durch die schöne österreichische Landschaft im Cabriolet und die Freunde singen zur Musik und sehen froh und unabhängig aus, im Gegensatz zur Hauptfigur, die eher zurückgezogen vorkommt.  Sie ist ganz unbeweglich, weder singt sie noch sagt sie etwas und ihr Verhalten zeigt, dass sie sogar unter Freunden eine Außenseiterin ist. Sie zieht die Enden ihres Kopftuchs fester um den Hals und bedeckt die Ohren mit den Händen. Diese Bewegung schlägt vor, dass die Frau diese Musik nicht hören will. Obwohl sie diese Bewegung macht, ändert sich ihr Gesicht nicht, und sie zeigt keinerlei Emotionen. Die Frau kommt in dieser Szene als die „ausdruckslose Person“ von Kuleschow vor. Diese Person wird genau gegensätzlich zu ihren Freunden dargestellt, die singen und lächeln.  Man kann ihre Isolierung durch ihr Verhalten sehen, aber die fröhliche Musik betont ihre Vereinsamung noch stärker als die Gesten und der Kontrast dazwischen ist eindrucksvoll.

Die Musik begleitet die Handlung, um eine Vorahnung zu zeigen. Das Lied handelt von Freiheit mit dem folgenden Text: „Freedom is a journey, a journey to yourself“ (2:29). Man sieht, dass diese Gruppe buchstäblich eine Reise macht, und es ist klar, dass diese Frau nicht offen ist. Sie will kein „journey to herself“ haben, und diese Verschlossenheit, die hier schon impliziert wurde, wird nachher betont, als sie ihre Geschichte aufzuschreiben beginnt. Die Zuschauer erfahren durch ihr Tagebuch, was die Frau empfindet. Sie liest Passagen laut vor, zum Beispiel wie ihre Geschichte beginnt: „Mit Hugo sollte eigentlich dieser Bericht anfangen, denn wäre seine Sammelwut und Hypochondrie nicht gewesen, säße ich heute nicht hier“ (2:17). Es scheint, als ob die Freunde  sich für die Reise entschieden haben, und die Frau  macht nur mit leicht unterdrücktem Widerwillen mit. Sie glauben vielleicht, dass die Frau eine Reise braucht. Die verschiedenen Meinungen erkennt man in dem Lied, durch positive Wörter und heitere Musik. Julian Pölsler schrieb das Lied selbst mit der klaren Absicht, und es bestätigt diese Theorie über die Motive der Freunde (Wetzel). Durch die Musik zeigt Pölsler, dass die Frau an ihrer Isolation selbst schuld ist. Dass die Freunde sich bemühen, sie zu integrieren, wurde durch die Musik symbolisiert. Durch die Gestik der Frau sehen die Zuschauer, dass sie diese Bemühungen ablehnt. Das wurde von Pölsler durch die Gegenüberstellung des ausdruckslosen Gesichts der Frau und des heiteren Popsongs gezeigt.

Um das zweite Beispiel der Filmmusik zu interpretieren, müssen die Zuschauer zuerst ihr Verständnis von Musik erweitern. Aus der unsichtbaren Wand kommt ein Klang, der oft als „bedrohend“ oder „vibrierend“ in den Untertiteln für Gehörlose und Schwerhörige beschrieben ist. Da dieser Klang die Handlung des Films hervorhebt und eine emotionale Reaktion der Zuschauer hervorruft, verstehe ich diesen Klang als Musik. Der Klang symbolisiert etwas Bedrohendes oder den Schmerz, der mit der vollkommenen Isolation zusammenkommt und die Zuschauer verstehen das, weil der Klang so stimulierend und pulsierend ist. Der Klang ist für die Zuschauer unangenehm.

Als die Frau die Wand zum ersten Mal entdeckt, sind die gläserne Wand und die Geräusche, die die Wand macht, total unerwartet, und ihre Reaktionen darauf sind wichtig, weil sie ihre verborgenen Emotionen zeigen. Die Frau geht die Straße entlang um ihre Freunde zu finden, und sie läuft direkt gegen die unsichtbare Wand. Als ihr Körper auf die Wand trifft, hören die Zuschauer und die Frau den vibrierenden, diegetischen Klang zum ersten Mal. Die Zuschauer erwarten, dass die Frau erschrickt, aber der Klang und die Wand haben auf die Frau keine Wirkung.  Die Frau runzelt ihre Stirn, aber dieser Gesichtsausdruck ist minimal und undramatisch. Sie tastet die Wand mehrmals ab, und als die Frau die Wand erreicht, erklingt das Geräusch, das mit der Wand verbunden ist. Der Klang ändert sich immer, wenn die Frau sich der Wand nähert und wenn sie sich von ihr zurückzieht. Der Klang wandelt sich in ein „dumpfes Pochen“. Die Frau hört die Geräusche, die aus der Wand stammen und denkt, es sei „[ihr] eigener Herzschlag“ (13:08). Die Frau interpretiert die Geräusche als etwas Innerliches.  Es bleibt für die Zuschauer unklar, ob die Geräusche aus der Wand kommen, als “external diegetic sound”, oder ob sie der Vorstellungskraft der Frau als “internal diegetic sound” entstammen (Bordwell 288). Nach Pölsler soll der Wand-Sound “dem Geräusch nachempfunden sein, ‘das die Erdrotation verursacht, und das manche Menschen angeblich zu hören in der Lage sind‘“ (Zylka). Obwohl die Klänge von der Erde kommen, hat die Frau Recht in der Annahme, dass die Geräusche irgendwie aus ihrem Inneren stammen. Nur sie kann diese kleinen Geräusche und Bewegungen hören und fühlen. Die Fähigkeit, die Erdrotation zu hören, isoliert die Frau noch weiter. Sie markiert die Frau als „anders“, ganz wie der heitere Popsong. Die Frau wurde mit der Zeit nachdenklich und versteht, was die Klänge für ihr Leben bedeuten. Die Welt ändert sich, aber sie bleibt still und ganz allein. Ihre Welt hat psychologische und körperliche Grenzen, und die verschiedenen Beispiele von Klängen und Musik zeigen diese Grenzen im Gegensatz zum unbeweglichen Gesichtsausdruck. Die merkwürdigen Klänge zeigen die Unsicherheit und die Absurdität, die dieser Szene eigen sind, weil die Frau das nicht durch ihre Gestik oder Mimik ausdrücken kann.

Sie tastet die Wand mehrmals ab, als ob sie sich versichern wollte, ob diese unsichtbare Wand in Wirklichkeit steht, und schließlich akzeptiert die Frau die Wand. Sie bleibt still und innerlich ruhig, was ganz merkwürdig ist. Der Klang zeigt das viel besser als die Bilder. Die Art des Klanges demonstriert, dass die Frau kein normales Leben führt. Der Klang ist etwas übernatürlich, aber weder verwirrt er die Frau noch wird sie davon verstört. Normale Leute würden eine stärkere Reaktion haben, weil die Wand diese übernatürlichen Elemente zeigt, und das macht deutlich, dass die Frau körperlich und psychologisch nichts mit anderen Leuten gemein hat. Die Klänge lassen uns alles erfahren, was die Frau weder sagen noch zeigen kann. Man sieht an dieser Szene, wie Pölsler den Kuleschow Effekt musikalisch übersetzt. Durch den Popsong und die Klänge wissen die Zuschauer wie sie die Musik von Bach analysieren sollen.

Pölsler benutzt die Stücke der Partita von Bach in Szenen, die vollkommen unterschiedlich sind, um die körperlichen und psychologischen Aspekte der Szene zu zeigen. Manche sind fröhliche Szenen und andere traurig aber die Partita gibt dem Film Kontinuität und Kohärenz durch die „mathematische und schematische Struktur“ der Musik (Zylka). Der subtile und kunstvolle Stil der Partita zeigt an, dass eine wichtige Szene folgt, ohne ganz offensichtlich zu sein.

Beim zweiten Mal, wenn die Zuschauer Bach hören, befindet sich die Frau auf einer Alm. Die Szene dauert weniger als zwei Minuten und die Frau sagt nichts, aber die Gefühle in der Szene sind sehr stark wegen der „bewegten“ Musik (40:35). Am Anfang rennt der Hund Luchs durch eine Wiese und findet ein Haus. Seine Ohren flattern und er springt als er rennt. Die Musik springt mit ihm, und es ist klar, dass Luchs und die ganze Szene fröhlich sind. Die Musik ist staccato, und die Lautstärke ändert sich auch mehrmals, und der Kontrast zwischen leise und laut zeigt auch, dass die Szene froh ist. Dieser Stil geht weiter, wenn man die Frau sieht, und man hat das gleiche positive Gefühl wegen der Musik. Die Frau untersucht ein Haus, aber ihr Gesicht bleibt unbeweglich und sie ist wieder diese „ausdruckslose Person,“ die man für den Kuleschow Effekt braucht. Es ist unklar, ob sie das Haus kennt aber sie ist ganz systematisch und methodisch als sie die Zimmer aufräumt. Die Musik bleibt heiter und staccato, woran man versteht, dass die Frau sich ausruht. Durch die Melodie benutzt die Musik ihre Stimme um einen Unterschied zwischen den ähnlichen Bildern zu machen, also wird der Kuleschow Effekt hier angewendet. Die Musik erzählt die Geschichte, die die Mimik und Gestik der Frau nicht erklärt.

Die Frau und Luchs verlassen das Haus und schauen über das Tal, und die heitere Violine spielt noch weiter, aber ein leises Summen beginnt im Hintergrund. Das Summen ändert die Musik und den Gefühlseindruck der Szene. Die Melodie wird gedämpft, und das Summen wird immer lauter und stärker. Die Violine endet unerwartet, und man versteht, dass dieses Summen eigentlich die „Klänge“ sind. Die Frau sieht ein paar Häuser in der Ferne, aber die Klänge zeigen an, dass diese Häuser hinter der Wand sind. Der Ton der Szene ändert sich plötzlich, und man hört das durch die Klänge, wobei der Gesichtsausdruck der Frau unbeweglich bleibt. Nur durch das Ende der Violine und das Anfang des Summens, wird das ausdruckslose Gesicht der Frau im Sinne des Kuleschow Effektes interpretiert. Die Interpretation kommt durch die Bilder und die verschiedene Musik und Geräusche zustande. Als der Film am Ende seinen Höhepunkt erreicht, läuft fast die gleiche Musik weiter.

Die Frau und Luchs wandern wieder in der Nähe der Alm. Sie kommen über einen Hügel, und die Beiden sehen eine grausame Szene direkt vor dem Haus. Ein Mann erschlägt einen Stier mit einer Axt und die Frau und Luchs laufen zum Haus. Das Summen beginnt als die Beiden erkennen, dass etwas Schlimmes passiert. Das klingt wie eine Warnung für die Zuschauer und die Frau. Die Frau rennt zum Ort der Tat, stoppt, als sie den Mann sieht, weil er mit Luchs kämpft. Sie bleibt ein paar Sekunden stehen, und dann läuft sie wieder. Die Partita beginnt in dem Augenblick als die Frau losrennt. Die Musik ist hier „melancholisch“ und langsamer als in der ersten Szene auf der Alm (1:27:54). Dieses Stück ist kontrolliert und ernster als die „bewegte Musik,“ die die Zuschauer vorher hörten. Der Ton der Violine ist breit, großzügig und langsamer als vorher. Sie holt ihre Waffe und in dem Moment ändert sich die Violine wieder. Es gibt Akkorde statt einzelner Töne, und die Akkorde sind irgendwie schräg. Mit einem lautlosen Schrei erschießt sie den Mann, dabei geht die Musik wieder langsamer und kontrolliert. Die Frau zeigt in diesem Moment Emotionen, aber das bedeutet nicht, dass die Musik keine Rolle spielt. Dieser Moment ist für die Frau traumatisch und erschreckend. Sie schreit und erschießt den Mann, weil sie die Tiere so liebt. Aber die langsame Musik zeigt, dass sie ihre Empfindungen noch unter Kontrolle hat. Sie versteht, dass sie den Mann töten muss und zwar sofort. Er war lebendig und menschlich, etwas was sie nie vorher im Wald gefunden hat. Trotzdem hat sie ihn zielstrebig erschossen, was durch die Partita reflektiert wurde. Die Musik ist ernst, genau und schwankt in diesem schwierigen Moment nicht. Auch in dieser Szene kann man den Kuleschow Effekt erkennen, weil die Gedanken der Frau durch die Musik gezeigt werden. Sie hat eine emotionale Reaktion und das ist für ihre Figur ganz unerwartet, aber die langsame Musik erweist, dass sie immer ganz zielstrebig und gelassen bleibt. Die Violine erzählt eine Seite der Geschichte, durch die Bilder kommt man zur Interpretation der anderen Seite.     

Bachs Partita zeigt den Gefühlszustand der Frau durch den Kuleschow Effekt. Das Werk ist ein Solo für Violine, und die verschiedenen Teile des Werkes kommen insgesamt acht Mal im Film vor. Pölsler bestätigt diese Wichtigkeit in einem Interview in Spiegel Online. Er sagt: „Die Stücke sind nicht Filmmusik, sondern eine andere Form des Voice-over. In ihrer mathematischen und schematischen Struktur sind sie eine eigene Sprache“ (Zylka). Die Partita funktioniert als Sprache, weil die Frau kaum etwas sagt. Die Frau erzählt ihre ganze Geschichte in der „Voice Over,“ aber Pölsler impliziert, dass die Partitas genauso wichtig sind wie Dialoge. Die Partita, der Klang und der Popsong haben diese „mathematische und schematische Struktur,“ die man hören muss, um die Frau zu verstehen. Pölsler wollte, dass die Musik die Geschichte erzählt. Gedeck stimmt zu, als sie auch darüber in einem Interview mit Arte spricht: „Das Sprechen oft nur ein Vehikel“ ist (Wetzel). Die Wörter, die man spricht, sind nur ein Teil eines Filmes. Die Bilder und die Gesichtsausdrücke sind auch nur ein Teil, und sie erzählen die ganze Geschichte nicht. Man braucht etwas anderes, um die ganze Szene zu bauen.In Die Wand ist das die Musik.

Die Zuschauer müssen sich vorstellen, dass die Frau ein ganzes Leben hinter der Wand lebt. Pölsler hat versucht, „diese Frau schon in ihrem scheinbar normalen Leben isoliert zu zeigen“ (Bach). Sie arbeitet, sie kocht, kümmert sich um ihre Tiere und ist relativ zufrieden damit. Dieses Leben scheint ganz normal, doch eine solche Isolation ist nicht normal, und sollte nicht so leicht zu akzeptieren sein. Man soll erkennen, dass diese Frau sich selbst von der Gesellschaft abgetrennt hat. Am Anfang des Films wollte sie keinen Urlaub machen. Die Wirkung ihrer Ablehnung der Gesellschaft ist die buchstäbliche Wand. Die Isolation, die die Frau fühlt, ist negativ. Sie zeigt wenige Emotionen und ein einsames und gefühlloses Leben ist kein richtiges Leben. Den Film kann man als Warnung verstehen und man kann diese Warnung durch Musik ausdrücken. Die starre Mimik zeigt auch einen Teil davon, aber man braucht das Nebeneinander von Musik und Gefühlsausdruck im Sinne des Kuleschow Effektes um die schrecklichen Wirkungen einer Wand darzustellen.

 

 

Bibliographie:

Bach, Lida. „Die Wand – Interviews mit Julian Pölsler und Martina Gedeck.“ Negativ, 1 Okt.

2012. www.negativ-film.de/die-wand-interviews-mit-julian-polsler-und-martina-gedeck/.

Bordwell, David and Kristin Thompson. Film Art: An Introduction. 10th ed., McGraw-Hill, 2013.

“Kuleschow Effekt.” Lexikon der Filmbegriffe. 13 Okt. 2012. filmlexikon.uni-

kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=238.

Die Wand. Directed by Julian Pölsler, Music Box Films, 2013.

Wetzel, Johannes. „Martina Gedeck in Die Wand“. Arte, Okt. 2014. www.arte.tv/sites/de/das-

arte-magazin/2014/10/03/martina-gedeck-in-die-wand/.

Zylka, Jenni. „Kinodrama Die Wand: Halb lebt sie im Paradies, Halb in der Hölle.“ Spiegel Online,

14, Okt. 2012. www.spiegel.de/forum/kultur/kinodrama-die-wand-halb-lebt-sie-im-paradies-halb-der-hoelle-thread-73025-1.html

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