Licht und Schatten: Die Sicht in ausgewählten Werken Anna Seghers

Gina Filo, University of Evansville

„Aber drüben würde die Sonne der Schande zusammenschmelzen“ – Anna Seghers, Aufstand der Fischer von St. Barbara

I. Einleitung

Seit Prometheus den Griechen Feuer brachte, sind Licht und Dunkelheit in der Literaturgeschichte wichtige Symbole. Normalerweise repräsentiert Licht Klarheit, Kenntnis und Weisheit. Man sucht Licht; man sucht deshalb die Klarheit und  dasWissen, die von diesem Licht repräsentiert wird. Dunkelheit und Schatten verschleiern die Sicht und sind deswegen gefährlich. In der Dunkelheit sieht man seine Umgebung nicht, und oft symbolisiert sie, dass man körperlich und geistig verloren gegangen ist. Die deutsche Schriftstellerin Anna Seghers erkennt die Kraft dieser Symbole, und in ihren Erzählungen Aufstand der Fischer von St Barbara und Der Ausflug der toten Mädchen spielt sie  mit diesen Definitionen und Nebenbedeutungen von Vision und deren Mangel. Sie verwendet Licht und Dunkelheit, nicht nur um die inneren Gedanken und Gefühle  ihrer Figuren auszudrücken, sondern auch als Vorahnung der  späteren Ereignisse der Geschichten. Auch spiegeln Licht und Dunkelheit die dramatischen Situationen der Erzählungen wieder. Schlieβlich verwendet Seghers diese Symbole, um die Konsequenzen der Ignoranz und des Wirrwarrs auszudrücken. Diese Symbolanwendungen bringen den Leser zu einem besseren Verständnisnicht nur von den Werken selber, sondern auch von Deutschland während der Weimarer Republikzeit; es gibt in diesen Geschichten Parallelen mit der  damaligen Situation in Deutschland 1929 und 1943.  Durch diese Symbole können die Leser die Geschichte, künstlich und wirklich, besser verstehen, in dem sie von der Geschichte distanziert werden. Deshalb machen die Leser Schritte in Richtung Klarheit und Verständnis—Schritte in Richtung Licht.

II. Aufstand der Fischer von St Barbara

Aufstand der Fischer von St Barbara, 1929 veröffentlicht, ist ein frühes Werk von Seghers. Die Novelle handelt von einem kleinen Fischersdorf, St Barbara, dessen genaue Lage ungennant ist.  Seit zwei Jahren gibt es keinen guten Fischfang und Preise sind gefallen. Die Fischer entscheiden sich zu revoltieren, und werden nicht herausfahren, bis sie fairere Preise für ihren Fang bekommen. Während des langen Winters verhungern die Familien der Fischer, und im Frühling wird ihr Aufstand scheitern. Das elende Leben der Fischer geht weiter, beinahe als ob der Aufstand nie passiert wäre, aber manche Fischer und Dörfer sind gestorben. Vielleicht wäre es doch besser, wenn der Aufstand nie geschehen wäre.

Anfangs der Geschichte kommt Hull, ein weitgereister Seefahrer—aber auch ein Flüchtling wegen seiner Teilnahme an einem anderen Aufstand in einem nahen Dorf—im Regen angereist. Vor seiner Ankunft wollten die Fischer ihre Situation ändern, aber Hulls Präsenz und starke Rhetorikfähigkeiten beeinflussen die Fischer, Aufstand-Pläne zu machen. Bei seiner nassen Ankunft in St Barbara wird die Atmosphäre dunkel  beschrieben: „Hull drehte den Kopf nach dem Fenster. Aber hinter dem Fenster gab es gar nichts. Es war jetzt vollkommen dunkel. Nur der Regen zog seine Streifen quer über das angelaufene Glas“ (9). Hier sind das Wetter und die Dunkelheit repräsentativ für die Situation der Fischer. Es ist sowie Nacht, als auch regnerisch; das bedeutet kein Licht, kein Mondschein und keine Hoffnung für die Fischer. Da die Sonne Licht und symbolische Klarheit bringt, symbolisiert der Mangel an Licht, dass die Fischer keinen Anführer haben; sie sind unorganisiert und verwirrt, kraftlos gegen die Besitzer ihrer Boote, bis Hull kommt. Sie können nur die Streifen Regen sehen—nur das Schlechte, und nichts mehr.  

Hull geht in die Kneipe hinein, und dort ist es ist auch dunkel . „In beständigen Abständen zog das Leuchtfeuer seine Kreise, streifte die dunkle Wand, die Gesichter im Schatten. In seinem Arm träumte die Kneipe zu schwimmen, mit allem, was darin war, weit drauβen in der Dunkelheit, wie andere Schiffe in Seenot“ (9-10).  Jetzt sieht Hull keine Regenstriefen, sondern Lichtstreifen. Gleich danach beginnt er mit den Fischern zu reden, und sie beginnen, ihren Aufstand zu planen. Hier endlich bekommen sie ein bisschen Kraft—und sie haben Licht, oder mindestens Hinweise auf Licht.

Obwohl Hull im Dunkeln ankam und dann in eine dunkle Kneipe hineinging, ist es wichtig zu erkennen, dass diese Dunkelheit eine andere ist. Diese ist künstlich, wie auch das Licht. Das Licht wird durch Kerzen gemacht, die Dunkelheit durch verhängte Fenster. Die Probleme der Fischer, schlägt Seghers vor, sind künstlich, und so wird die Lösung sein, wenn es eine Lösung gäbe. Diese Lage ist der Lage der Weimarer Republik sehr ähnlich. Im Jahr 1929 wurde es immer klarer, dass die Weimarer Republik scheitern würde, aber es gab noch kleine Hoffnungen, dass sie irgendwie gerettet werden könnte (Hiden 58). Die Probleme Deutschlands waren auch künstlich, und wenn alle die Parteien miteinander gesprochen hätten, und die Parteikonflikte löschen könnten, wäre es noch möglich gewesen, dass die Republik hätte überleben können (Hiden 15-50). Diese Teile der Geschichte können als Warnung für die Republik gelesen werden—sie muss aus der Dunkelheit der Unwissenheit und in das Licht der Kenntnis treten. 

Dunkelheit und Licht betonen auch die Sicherheit oder deren Mangel in einer Situation. Hull spricht oft in der Nacht, besonders früh in der Geschichte. Draussen ist es immer dunkel, aber innen gibt es Licht. Alle Hoffnungen sind mit diesem Licht, in dieser Kneipe, mit diesen Männern und dem charismatischen Anführer Hull. Beide—das Licht und die Hoffnungen—sind schwach und leicht zu löschen. Aber sie sind besser als draussen, wo es dunkel ist.

Wenn es manchmal draussen hell ist, ist es deswegen sehr merkwürdig—denn der optische Kontrast zu der vorherigen Dunkelheit wird so klar dargestellt. Jedoch ist die Bedeutung dieses Lichts nicht ganz gegensätzlich zu dem anderen der Dunkelheit. Zum Beispiel, „Der Regen hatte aufgehört, die Lichter um die Bucht herum waren ausgegangen. Quer über dem Himmel gab es einen gelblichen kläglichen Lichtstreifen, noch vom vergangenen Tag oder schon vom kommenden“ (16). Hier ist die Bedeutung des Lichtes unklar. Entweder ist esnur ein Rest vom vergangenen Tag, und von den Plänen, die die Fischer machten, oder sie ist ein Hinweis auf den kommenden Tag, ein Hinweis, dass alles besser wird. Hier verwendet Seghers die Grenze zwischen Licht und Dunkelheit—das Zwielicht. Die Unklarheit der Bedeutung dieses Symbols spiegelt die Unklarheit und die Gefahr der Stellung der Fischer wieder.

 Die Dunkelheit kann auch eine Vorahnung der Nutzlosigkeit des Aufstands sein. Gleich nachdem die Fischer ihren Vertrag schlieβen, sagt der Erzähler, „Es war schon dunkel“ (26). Wegen der feststehenden Nebenbedeutungen von Dunkelheit, ist es klar, dass  trotz der Hoffnung der Fischer, ihr Aufstand schon hoffnungslos ist. Obgleich die Fischer ihren Vertrag feiern, weiβ der Leser wegen dieses Hinweises, dass es kein gutes Ende geben wird.

Die Dunkelheit kann auch die Wahrheit verschleiern: „Aber er bekam einen Tritt, von einem, den er im Dunkeln nicht erkannte“ (27). Dieses besondere Erreignis ist nicht sehr wichtig, aber die Schlüsse, die man daraus ziehen kann, sind nötig. In der Dunkelheit kann man die Wahrheit nicht feststellen. Die Mehrheit der Pläne der Fischer werden während der schattenhaften Nacht gemacht. Symbolisch sind sie in der Dunkelheit der Ignoranz gemacht. Diese Dunkelheit ist eine Vorahnung, dass diese Pläne scheitern müssen. Sie sind wegen dieser Ignoranz und Unwissenheit verloren.

Seghers betont wieder, wie unangenehm die Dunkelheit sein kann. „Dann kamen Sturmtage, es war eine Mühe, vor die Tür zu kommen, nach Ble zu gehen, das war ganz zwecklos, dunkel und stickig dumpf die Stube“ (32). Die Dunkelheit ist verwirrend, und gefällt den Leuten nicht. Im Vergleich zu dem Licht, „[er] hatte auch Lust auf die Lichter bekommen“ (37). Später haben zwei andere Fischer, Bredel und Andreas, dieses Gefühl, „Bredel bekam Lust nach Hell und Warm“ (38) und „Andreas hatte die heftigste Lust nach viel Licht, nach viel Freude“ (42). Die Fischer St Barbaras wollen Klarheit und Gewissheit; ihre Lust auf Licht symbolisiert diese Suche.

Seghers verwendet Dunkelheit auch auf eine andere Art: die Dunkelheit  kann das Gefühl von Alleinsein ausdrücken: „Bredel hatte nicht wissen können, daβ hinter ihm im Dunkeln jemand saβ, der genau wie er selbst auf das sonderbare Ereignis wartete, das ihm, Bredel, vorstand (39). Noch einmal kann dieses Ereignis als symbolisch gelesen werden. Die Dunkelheit hier repräsentiert die Unkenntnis; wegen der Dunkelheit erkennen die Fischer nicht, dass sie nicht alleine sind. Hier repräsentiert die Dunkelheit zwar Einsamkeit aber auch ein Erkenntnismangel über diesselbe Einsamkeit.

 Am Ende dieser Geschichte ist alles gescheitert. Die Pläne der Fischer sind nicht realisierbar. Manche sind tot. Die Besitzer haben gewonnen. Und deswegen haben sie sich die Dunkelheit verinnerlicht: „Eine Minute lang erkannte sogar jede Frau in den Augen ihres Mannes das Feste, Dunkle vom letzten Winter“ (76). Die Dunkelheit gewann. Die Fischer haben keinen Fortschritt gemacht; sie bleiben in Stase. Sie haben verloren.

In Aufstand der Fischer von St Barbara wird die Dunkelheit zum gröβten Teil als eine Metapher benutzt. Die Dunkelheit, in der die Fischer sich befinden, spiegelt ihre hoffnungslose und grimmige Situation wieder. Es gibt in dieser Geschichte fast kein Licht, nur Dunkelheit mit kleinen Flecken von Licht. Noch einmal symbolisiert diese grimmige Umgebung das Leben der Fischer—viel Dunkelheit und viel Schatten und nur wenig Hoffnung und Licht. Die Dunkelheit ist auch eine Vorahnung, dass die Fischer ihre Ziele nie erreichen können. Das Leben der Fischer ist schwer, und der Mangel an Licht verstärkt diese Tatsache. Vielleicht ist diese Geschichte auch eine Warnung für die deutschen der Weimarer Republik insgesamt. Die Regierung der Republik beschäftigte sich mehr mit winzigen Machtkämpfen zwischen den Parteien als mit einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation  (Hiden 13-21). Die Leiter der Republik müssen aus der Dunkelheit und in das Licht treten, um fortschreiten zu können. Um die demokratische Republik von den gefürchteten Extremisten (links wie rechts) preservieren zu können. Seghers Anwendung der Symbole Licht und Dunkelheit betont die Wichtigkeit von Hoffnung und Kenntnis, nicht nur für die Fischer, sondern auch für die Leser und die Welt.

III. Der Ausflug der toten Mädchen

Die Weimar Republik hatte zu viele Probleme um fortdauern zu können und im Jahr 1933 kam Hitler an die Macht (Hiden 71). Während der Nazizeit musste Seghers aus Deutschland fliehen wegen ihres Judentums und sozialistischen politischen Meinungen. Zuerst nach Paris fliehend, verbrachte Seghers ihre Exiljahre 1941-47 in Mexiko (Barker 145). Dort  schrieb sie 1943 eine ihrer bekanntesten Geschichten, Der Ausflug der toten Mädchen. Diese Geschichte wurde 14 Jahre später als Aufstand der Fischergeschrieben, aber verwendet auch Sicht und Vision, um klarzumachen. Beide Geschichten können auch als Antworten zu einem immer gefährlicheren Deutschland gelesen werden.  Wichtig ist der autobiographische Bestandteil dieser Geschichte; die Hauptfigur heiβt Netty—Netty ist der Geburtsname Seghers—und ist auch in Mexiko, wo sie sich an die Vergangenheit erinnert, genauso wie Anna die Schriftstellerin (Swaffar & Wilkinson 485). Dieser Bestandteil ist so wichtig, weil Seghers, genauso wie Netty die Figur, sich von sich selber distanzieren muss, um ihre—und Deutschlands—Vergangenheit zu verstehen (Maier-Katkin 93-4).

Netty ist nach dem zweiten Weltkrieg auch im mexikanischen Exil, um dem Krieg zu entkommen. Sie leidet unter einer ungenannten Krankheit und ist oft mit „Schwäche und Müdigkeit“ angegriffen. Während eines Fiebertraums erinnert sie sich an einen Ausflug, den sie und ihre Mitschülerinnen vor dem ersten Weltkrieg gemacht hatten. Die Erzählung hat keine starken Grenzen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart der Geschichte, und während wir über den Ausflug lesen, lernen wir auch über die Schicksale der verschiedenen Mädchen und manchen Jungen, die an diesem Ausflug teilgenommen haben. Nur Netty hat die beiden Kriege überlebt. 

Sicht—die Fähigkeit der Augen zu sehen—und Vision—die Begabung, diese Sicht zu verstehen—sind in dieser Geschichte auch wichtig, aber anders als im Aufstand der Fischer. In dieser Geschichte verwendet Seghers Dunst und Dampf—verschiedene Elemente, die die Sicht gefährden. Diese zwei Elemente verschleiern die Wahrheit und das Verständnis, aber nicht ganz, wie mit der Dunkelheit. Diese Verwirrung—Sicht aber mit Hindernissen—passt mit dieser Geschichte, in der Netty die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Illusion, nicht genau erkennt. Sie hat immer Sicht gehabt, aber jetzt sucht sie Vision, Verständnis von der Vergangenheit sowie auch der Gegenwart.

Die Erzählung fängt im Schatten, im Dunkeln, an. Netty, die Erzählerin, sagt „ Ich lehnte mich gegen die Wand in den schmalen Schatten. Um Rettung genannt zu werden, dafür war die Zuflucht in diesem Land zu fragwürdig und zu ungewiβ“ (7). Der Schatten, in dem Netty sitzt, repräsentiert die Schwierigkeiten, die Taten der Mädchen zu verstehen. Sie spiegeln die Tatsache wider, dass Netty sich über ihre Zukunft unsicher fühlt. Jedoch haben sie auch eine tiefere Bedeutung. Netty wird bald zurück in ihre Erinnerungen gehen und wird versuchen, die Handlungen ihrer Mitschülerinnen zu verstehen. Während des zweiten Weltkriegs werden diese ehemalig unschuldigen Mädchen Freundinnen und Lehrerinnen verraten; effektiv ermorden sie einander. Wie kann man solche Taten verstehen?

 Die Umgebung der heutigen Netty ist dunstig mit Flecken von Licht. Noch einmal spiegelt dieser Rahmen Nettys fieberverwirrte, halluzinogene Erinnerungen wieder. Sie findet sich „in flimmrigem Dunst“ aber weiβ nicht,

ob er aus Sonnenstaub bestand oder aus eigener Müdigkeit, die alles vernbelte, so daβ die Nähe entwich  und die Ferne sich klärte wie eine Fata Morgana...Die Wolke von Staub oder auch von Müdigket, die sich schon ein weing gelichtet hatte, verdichtete sich, in den Bergeinschnitten nicht dunkel wie Wolken sonst, sondern glänzend und flimmrig (8-9).

Durch diesen Dunst ist ihr die Vergangenheit (die Ferne) klar, aber ihre heutige Situation (die Nähe) ist verwirrt. Es gibt Flecken von Licht—illuminierte Erinnerungen in Nettys Fieberträumen. Auch wissen wir sehr wenig über Nettys Leben; der Leser weiβ, dass sie krank und alleine im Exil ist. Diese Flecken können auch die guten Erinnerungen an  Nettys Schultage repräsentieren.

Sobald Nettys mexikanische Umbegung dargestellt wird, gehen wir zurück in ihre Erinnerungen. Hier gibt es wenig Schatten; wirklich alles ist beleuchtet. Aber manchmal werden die Gesichter und Handlungen der Mädchen verdunkelt:

Die blaue Wolke von Dunst, die aus dem Rhein kam oder immer noch aus meinen übermüdeten Augen, vernebelte über allen Mädchentischen, so daβ ich die einzelnen Gesichter von Nora und Leni und Marianne und wie sie sonst hieβen, nicht mehr deutlich unterschied, wie sich keine einzelne Dolde mehr abhebt in einen Gewirr wilder Blumen (15).

Natürlich ist der körperliche Grund für diese Verwirrung Nettys Krankheit—der ganze Ausflug ist nur ein Teil ihrer Fieberträume. Aber was sind die symbolischen Gründe für Nettys Mangel an Vision und deswegen ihr Mangel an Klarheit?

Die Mädchen sind hier untrennbar und von einander nicht zu unterscheiden. Sie sind alle ähnlich: jung, frisch, unschuldig, schön, wie die Blumen. Aber in dem Krieg wurden diese Freundschaften gebrochen, wegen Mariannes SS-Ehemannes und ihres Mangels an Treue Leni, ihrer besten Freundin, gegenüber. Eine langlebige, enge Freundschaft wird gebrochen, wegen Lenis religiöser und politischer Meinungen, obgleich  sie früher keine Hindernisse zur Freundschaft waren. Mit Nettys Fehlen von Klarheit sagt Seghers, wie sinnlos der Krieg wirklich war. Und nicht nur dieser Krieg, sondern auch die wahnsinnigen Umstände, die diesen Krieg verursacht haben. Der Weg zum Zweiten Weltkrieg war mit einem Widerwillen Kompromisse gegenüber und mit gebrochenen Allianzen und Freundschäften geprägt (Hiden 15-21). Es gab zwischen Februar 1919 und Dezember 1923 neun verschiedene Regierungen (Hiden 16). Und obgleich die vier Hauptparteien (Centre, SPD, DDP und DVP) „...a commitment to preserving the Republic...” teilte, “[they] could not wholly eliminate essential differences between them. Indeed, these tended to become more pronounced“ (Hide 15-17).  Die Einheit kann täuschen, nicht nur die Einheit der Mädchen, sondern auch die Einheit der deutschen Republik, die von Anfang an, mit ihren zwei verschiedenen Ausrufungen, ein Symbol weniger für Einheit als Trennung ist auch wenn sie so hoffnungsvoll angefangen hat. Wenn Netty  sich an die Vergangenheit erinnert, will sie nur Einheit sehen, aber zur gleichen Zeit sieht sie diese Einheit im Fiebertraum, ein Fieber, das sie auch in Teile spaltet. Ohne Distanz ist es fast unmöglich, diese Probleme zu sehen und  es ist in der Gegenwart noch verwirrend; es ist unwahrscheinlich, dass Netty diese gebrochenen Verhältnisse vorsehen könnte, obgleich sie versucht, einen Sinn darin zu finden.   

Immer wieder betont werden die „kranken Augen“ der Erzählerin. Es wird nie erklärt, wie die Augen krank sind, aber es ist wahrscheinlich ein Teil Nettys ungenannter Krankheit. Aber trotz ihrer kranken Augen, wenn sie in dieVergangenheit geht, kann sie fast alles sehen. „Obwohl er weitab trieb, konnte ich den Namen mit meinen kranken Augen glatt entziffern“ (19). Später sagt Netty „Meine Augen hatten sich inzwischen in der gewohnten vertrauten Welt eingewöhnt, ich sah alles noch schärfer...“ (19). Sie findet endlich „eine durch nichts verlorene, durch nichts verlierbare Klarheit an, die durch nichts auf der Welt zu trüben war“ (19). Diese Vergangenheit ist schön. Sie macht Netty Sinn. Die Mädchen sind unschuldig. Sie sind miteinander befreundet. Sie sind gar sorgenlos, und geniessen den Ausflug mit ihren Freundinnen, ihren Verliebten und ihren Lehrerinnen. Nettys Vision ist klar, denn dieses frühere Leben ist auch klar. Wenn es schlechter wird, wird Nettys Vision unklarer, zum Beispiel wird „Marianne [einer der Mädchen] lange Zeit von einer schwarzen Wolke umhüllt“ (22). Marianne wird später ihrer beste Freundin Leni verraten; wegen Mariannes SS-Mann Ehemann wird Leni in einem KZ ermordert. Die schwarze Wolke um Marianne ist eine Vorahnung ihrer späteren Korruption.

Während dieses Ausflugs sind die Mädchen fast immer im Licht der Sonne. Auf nur einer Seite wird die Sonne viermal bemerkt: „Sie sah in der Sonne sehr jung aus“; „Ich spürte zugleich mit der Zärtlichkeit ihres mageren bloβen Armes den Aufglanz der Sonne auf meinem Nacken“; „Die schräge Nachmittagessonne“; „Im späten Sonnenschein glänzten ein paar Fenster wie in einer Feuersbrunst“ (29-30).  Dieses Licht, in dem die Mädchen sich finden, wird immer wieder betont. Sie zeigt die Unschuldigkeit und Freude dieser sorgenlosen Mädels. „Marianne und Leni und ich, wir hatten alle drei unsere Arme ineinander verschränkt in einer Verbundenheit, die einfach zu der groβen Verbundenheit alles Irdischen unter der Sonne gehörte“ (30). Die Sonne hat eine neue Bedeutung hier—die Verbundenheit und Einheit aller Menschen.

Diese Anwendung des Lichtes hat auch Hinweise auf Gefahr, denn Ausflug der Toten Mädchen wurde im Jahr 1943 veröffentlicht, vier Jahre nach dem Anfang des Krieges. Feuer ist nicht nur Licht, sondern auch Bomben und Zerstörung. Diese gefährlichen Tendenzen während des schönen Ausflugs deuten an, dass diese schöne empfundene Idylle und Einheit nicht fortdauern wird. Sie wird durch Krieg zerstört werden, wenn man das Dunkle nicht mehr übersehen konnte. Netty muss sie genieβen, „bevor es in der Dämmerung verschwand“ (30). Hitlers Macht und der Krieg werden diese ideale Einheit zerstören; Hitlers arische Einheit passt nicht in dieses Bild, gemacht von Leuten mit verschiedenen religiösen und politischen Meinungen, aber noch eine Einheit. Dieser Ausflug selber, obgleich er in der Sonne stattfindet, kann als Dämmerung gelesen werden; nie wieder werden diese Mädchen mit Freude und Unschuld spielen. Die Dämmerung der Sonne spiegelt die Dämmerung der Freundschaften der Mädchen.

Aber wenn Netty versucht, wieder nach Hause zu gehen, wird alles wieder hell: „Die Sonne brannte immer noch stark, ihr Licht brannte nie schneidender“ (37). Das Licht ist so stark, dass es Netty weh tut. Netty ist zu schwach, und das Licht ist zu stark. Sie kann nicht ins Haus gehen. Hier erinnert Seghers den Leser daran, dass Netty Fieber hat. Dieses Licht ist kein echtes Licht, sondern eine Illusion. Jetzt wird die Realität—das Fieber—stärker als die Illusion—die Erinnerungen der Vergangenheit—werden. Obgleich während ihrer Fieberträume „Netty, spatially separated from her homeland, moves into the surreal interwoven temporality of dreamlike memories” kann Netty nicht bleiben (Maier-Katkin 93). Sie ist noch am Leben und muβ nicht einfach wegbleiben, obgleich ihre Träume schön waren; obgleich sie tröstlich waren. Netty, sowie auch Seghers, kann von der Realität nicht fliehen. Vielleicht sagt Seghers hier, dass nicht nur Netty, sondern auch Deutschland generell, zurückkommen muss. Sie müssen die Gegenwart, die Schuld am Krieg und die Stand der Lage sehen, um fortgehen zu können.  

Am Ende, weiss sie, dass „es hier keine Dämmerung gibt, sondern immer nur jähen Übergang von Tag zu Nacht“ (38). Sie wacht auf im Schatten. Ihr Traum ist zu Ende. Sie ist zurück in der Realität. Hier gibt es wenig Licht, wenig Klarheit wegen ihres Fiebers, aber auch wegen dieser Welt mit ihrem Mangel an Sinn. Maier-Katkin nach, war Seghers während der Nazi Zeit „challenged by the question of how to anchor [herself] in present reality while [her] homeland, cultural heritage and the lives of friends and families slowly but unrelentingly transformed and threatened to disappear” (Maier-Katkin 105). Vielleicht ist diese Geschichte ein Versuch, Sinn in dieser unsinnvollen Welt zu finden, aber am Ende gibt es noch kein Licht.  

Der Ausflug der Toten Mädchenbetont Licht und Dunst und Schatten, nicht nur um Wissen und Ungewissheit auszudrücken, sondern auch die Grenze zwischen Realität und Fantasie zu gründen. Auch sind diese Symbole Metaphern für Schuld und Unschuld, und die herzerreiβende Konsequenzen des Verlusts der Unschuld.

IV. Schluss

Anna Seghers verwendet Licht und Schatten, Dunst und Klarheit, Vision und den Mangel daran sehr oft in Aufstand der Fischer von St Barbara und Ausflug der Toten Mädchen. Sie geht weiter als die traditionellen Bedeutungen dieser Symbole, und schafft reiche, neue Bedeutungen davon. Die Vision repräsentiert Gewissheit, Unschuldigkeit, Hoffnung, Freude; der Schatten Ungewissheit, Schuld Angst, Alleinsein/Einsamkeit. Wir verlassen uns auf Vision und Klarheit. Durch diese Erzählungen zeigt Seghers uns, wie leicht es ist, diese Klarheit zu verlieren, und die gefährlichen und tragischen Konsequenzen von einem Mangel davon. Seghers sah diesen Verlust von Klarheit und Sinn in Deutschland beide vor und zwischen den zwei Weltkriegen, und warnt uns, dass wir uns nicht leisten können, sie wieder zu verlieren.

Works Cited: 

Barker, Adam. “Anna Seghers, Friedrich Wolf, and the Austrian Civil War of 1934.” Modern Language Review. 95.1 (2000): 144-153. Print.

Hiden, J.W. The Weimar Republic. 2nd ed. New York: Addison Wesley Longman Limited, 1996. Print.

Maier-Katkin, Birgit. “Debris and Remembrance: Anna Seghers’s “Ausflug” and Walter Benjamin's “Engel der Geschichte.” The German Quarterly.  79.1 (2006): 90-108. Print.

Seghers, Anna. Der Ausflug der toten Mädchen: Erzählungen. 11 Auflage. Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag, 2006. Print.

Seghers, Anna. Erzählungen. Neuwied: Luchterhand, 1964. Print.

Swaffar, Janet, and Eileen Wilkinson. “Aesthetics and Gender: Anna Seghers as a Case Study.” Monatshefte.87.4 (1995): 457-72. Print.

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