Die Entstehung von der Endstellung des finiten Verbs in deutschen Nebensätzen

Ethan Blass, Middlebury College

1. Einleitung

Aus dem Blickwinkel einglischsprachiger Studenten, ist die deutsche Verbstellung, beziehungsweise die Endstellung des finiten Verbs in Nebensätzen, eine der wohl eigentümlichsten Eigenschaften der deutschen Grammatik.  Ein gutes Beispiel für die allgemeine Verwunderung, oder Verwirrtheit, die sie manchmal auslösen kann, bietet Mark Twain in seiner Abhandlung Die Schreckliche Deutsche Sprache:  „Deutsche Bücher sind ziemlich leicht zu lesen, wenn man sie vor den Spiegel hält oder sich auf den Kopf stellt - um den Aufbau umzukehren“ (9).  Sicher haben viele englischsprachige Studenten mit ihm übereingestimmt.  Aber in Anbetracht dessen, dass die Endstellung des Verbs oft als eine Seltsamkeit angesehen wird, ist die Frage nach ihrer Entstehung und Entwicklung umso interessanter.  

Die herkömmliche Ansicht war, dass diese etwas fremdartige Syntax aus einer Fremdsprache, nämlich aus dem Lateinischen, ins Deutsche gebracht wurde.  Diese Meinung beruht hauptsächlich auf den zahlreichen Übersetzungen aus dem Lateinischen im Mittelalter, und ist korrekt, indem das Lateinische zweifellos einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die deutsche Syntax ausübte.  Aber sie vernachlässigt viele Entwicklungen innerhalb des Deutschen, die auch zur Gestaltung der modernen Syntax beigetragen haben.  Namentlich wird die syntaktische Entwicklung der deutschen Sprache von dem allmählichen Übergang vom synthetischen zum analytischen Satzbau charakterisiert. In Bezug auf den Ursprung der Nachstellung des Verbs ist diese Entwicklung besonders aufschlussreich aus zwei Gründen.  Erstens: analytische Strukturen verleihen der Wortstellung eine größere Bedeutung als synthetische Strukturen.  Daher kann man davon ausgehen, dass sie einen großen Einfluss auf die Entstehung einer festen Wortstellung in Nebensätzen hatten.  Zweitens: diese analytischen Strukturen sind sicherlich nicht unmittelbar aus dem Lateinischen gekommen, da Latein keine analytische, sondern eine synthetische Sprache ist.  Wie das Folgende zeigen wird, haben diese analytischen Strukturen ihren Ursprung in innersprachlichen Entwicklungen in der Morphologie, die bis zum Althochdeutschen zurückverfolgt werden können.  In diesem Sinn ist die Verbstellung, zu der diese Entwicklungen allmählich geführt haben, ein einheimisches Element des Deutschen, das nicht unbedingt als fremd oder seltsam angesehen werden muss.

2. Arten des Satzbaus

2.1. Synthetische Sprachen

Um zu verstehen, warum es einen Übergang von synthischen zu analytischen Strukturen im Deutschen gab, sollte man zuerst wissen, was die Begriffe „synthetisch” und “analytisch” bedeuten.  In synthetischen Sprachen werden „die syntaktischen Beziehungen der Wörter zueinander vornehmlich durch Endungen oder Vorsilben ausgedrückt“ (Polenz 12).  Mit anderen Worten: synthetische Sprachen kombinieren grammatikalische, gebundene Morpheme, um syntaktische Beziehungen zu zeigen.  Wortwörtlich bilden sie Wörter, indem sie verschiedene Morpheme verbinden, oder „zusammensetzen“ (Aus dem Griechischen.  syn = mit, neben, zusammen; tithénai = stellen, setzen).   Schließlich können diese Morpheme viele syntaktische Bedeutungen tragen, was sie von den grammatikalischen, gebundenen Morphemen der agglutinierenden Sprachen unterscheidet, die meist nur eine Bedeutung tragen (Napoli 205).  Dies läßt sich an einem Beispiel aus dem Lateinischen erklären: carpe diem = pflücke den Tag.  In diesem Beispiel zeigt das Morphem {em}, dass das Wort „diem“ im Akkusativ und im Singular ist.  Es trägt, also, zwei grammatikalische Bedeutungen: Kasus und Numerus.  Diese Zusammensetzung von verschiedenen Morphemen findet nicht nur in Nomen, sondern auch in Verben statt.  Zum Beispiel wird das lateinische „portabantur“ ins Englische mit „they were (being) caried“ übersetzt.  „Latin ‚synthesizes‘ the root porta- and the bound elements -ba- ‚imperfect tense [indicative],‘ -nt- ‘third person plural,’ and  -ur- ‘passive voice’ into one long complex grammatical form” (Waterman 30).  Es verbindet Morpheme von verschiedenen Bedeutungen, und bildet dadurch ein selbständiges Wort, das diese grammatikalischen Bedeutungen in sich vereint.  

Wie diese Beispiele zeigen, ist Latein eine höchst synthetische Sprache.  Dies bedeutet aber nicht, dass Latein ausschließlich synthetische Strukturen aufweist.  Zum Beispiel ist das Morphem {ur} in “portabantur“ streng genommen eher agglutinierend als synthetisch, da es nur eine einzige grammatikalische Bedeutung trägt, nämlich das Genus Verbi.  Diese Ausnahme deutet darauf hin, dass keine Sprache einer einzigen Kategorie angehört (Napoli 207).  Obwohl synthetische Sprachen in der Regel durch Morphemkombination gebildet werden, weisen sie auch analytische und agglutinierende Strukturen auf.  Diese Ambiguität gilt auch für analytische Sprachen, und spielt eine große Rolle in der morphologischen und syntakischen Entwicklung des Deutschen.

2.2. Analytische Sprachen

Im Gegensatz zu den synthetischen Sprachen, in denen Morpheme hauptsächlich kombiniert werden, trennen analytische Sprachen Morpheme voneinander ab.  Wortwörtlich “lösen“ sie die langen Ketten von grammatikalischen, gebundenen Morphemen „auf,“ die sich in den synthetischen Sprachen anhäufen (Aus dem Griechischen.  ana) = auf; lys = lösen).  Diese Morpheme können dann allein als Wörter stehen.  Anders ausgedrückt, benutzen analytische Sprachen in der Regel nicht gebundene, sondern freie Morpheme.  Infolgedessen entspricht die Zahl von Morphemen in analytischen Sprachen oft der Zahl von Wörtern (Napoli 204).  Dies läßt sich an einem Beispiel aus dem Englischen erklären:He disappeared in the dead of winter.  In diesem Satz ist das Wort “winter“ streng genommen im Genitiv.  Dies wird aber nicht von einer Kasusendung angezeigt, sondern von einer Präposition, d.h. von dem grammatikalischen, freiem Morphem, {of}.  Zum Beispiel ist die lateinische Übersetzung von “of winter“ „hiemis.“  Im Lateinischen wird der Genitiv durch das Flexionsorphem {is} ausgedrückt.  Weil dieses Morphem und das Basismorphem {hiem} zusammengesetzt werden können, gibt es zwei Morpheme, aber nur ein Wort.  Im Englischen, aber, wo die alleinstehende Präposition „of“ den Genitiv ausdrückt, bleiben die zwei Morpheme getrennt, und bilden daher zwei einzelne Wörter.  

Auch im Verbsystem von analytischen Sprachen gibt es oft eine solche “Analyse“ von Morphemen.  Ein gutes Beispiel ist die schon erwähnte englische Übersetzung des lateinischen „portabantur“: „they were (being) carried.“  Im Lateinischen gibt es ein Basismorphem und eine Reihung von Flexionsmorphemen, die ein selbstständiges Wort bilden.  Im Englischen, aber, „the sequence has been ‘analyzed’…into its discrete and independent elements” (Waterman 30).  Wegen solcher Strukturen wird Englisch normalerweise als eine analytische Sprache angesehen.  Das bedeutet natürlich nicht, dass es keine synthetischen oder agglutinierenden Strukturen aufweist.  Zum Beispiel ist das Morphem „dis” im obigen Verb “disappeared” ein agglutinierendes Derivationsmorphem, da es nur eine einzige grammatikalische Bedeutung trägt; und der Beispielsatz „John walks“ ist synthetisch, indem das Flexionsmorphem {s} sowohl das Tempus (Präsens) als auch die Person und Numerus (3. Person Singular) ausdrückt (Napoli 206).  Aber im Vergleich zu den synthetischen Sprachen kommen solche Flexionsmorpheme in einer analytischen Sprachen wie Englisch eher selten vor.

2.3. Einfluss des Satzbaus auf die Wortstellung

In Bezug auf die Syntax sind analytische Strukturen von besonderer Bedeutung, weil sie der Wortstellung oft einen grammatikalischen Stellenwert verleihen (Crystal 369).  In vielen analytischen Sprachen muss die Wortstellung diese größere Bedeutung tragen, weil die Kasusendungen, die in den synthetischen Sprachen die syntaktischen Beziehungen zwischen den Wörtern zeigen, mit der Zeit weggefallen sind, oder „neutralized“ wurden (Napoli 206).  Wie schon erwähnt, können einige Kasus zwar durch Präpositionen ausgedrückt werden, wie in dem Beispiel „of winter” oder in dem Ausdruck „it seems to me.“   Aber oft gibt es keine Präpositionen, die man verwenden könnte, um den Kasus anzuzeigen.  In solchen Fällen spielt die Wortstellung die entscheidende Rolle.  Ein Beispiel dafür ist der Satz „the father comforted the son.“  Hier zeigt die Wortstellung, dass „the father“ das Subjekt, und „the son“ das direkte Objekt ist.  In einer synthetischen Sprache könnte diese Wortstellung geändert werden, ohne die allgemeine Bedeutung des Satzes zu ändern, denn Flexionsmorpheme würden die Kasus der Wörter anzeigen.  Im Englischen aber ergibt der Satz „the son comforted the father” einen ganz anderen Sinn (Wells 272).  Auch im analytischen Verbsystem kann die Wortstellung eines mehrteiligen Prädikats eine große Wirkung bei der Bedeutung des ganzen Prädikats ausüben.  Während der Satz „they were being carried” eine Aussage ist, bezeichnet die Wortstellung “were they being carried?” eine Frage.  In den synthetischen Sprachen spielt die Wortstellung eine viel kleinere Rolle.  Zum Beispiel kann man die Wortstellung im lateinischen Satz „portabantur” natürlich nicht ändern, da es nur ein Wort gibt.  Stattdessen müsste man das gebundene Morphem {-ne} benutzen, um eine Frage zu formulieren.  Wie später gezeigt wird, hatte diese Flexibilität der Wortstellung in den synthetischen Sprachen, im Zusammenhang mit der verhältnismäßig großen Bedeutung der Wortstellung im analytischen Satzbau, einen Einfluss auf die Entwicklung der modernen Wortstellung in deutschen Nebensätzen. 

2.4. Was für ein Satzbau hat das Deutsche? 

Die meisten Sprachen weisen sowohl synthetische als auch analytische Strukturen auf.  Im Deutschen aber ist diese Ambiguität besonders ausgeprägt.  Im Vergleich zum Englischen kann man sagen, dass Deutsch eine synthetische Sprache ist, denn es zeigt die syntaktischen Beziehungen zwischen Wörtern mit gebundenen Morphemen, d.h. mit den Endungen von Artikeln und Adjektiven.  Folglich ist die deutsche Wortstellung manchmal freier als die englische.  Zum Beispiel haben die Sätze „der Vater tröstete den Sohn” und ”den Sohn tröstete der Vater“ ungefähr diesselbe Bedeutung (Wells 253).  Auf der anderen Seite aber ist Deutsch bei weitem nicht so synthetisch wie Latein, denn die meisten deutschen Wörter haben ihre Kasusendung verloren, und im Deutschen werden die Kasus oft durch Präpositionen ausgedrückt (Polenz 21).  Zum Beispiel “what we call the “dative” case in Germanic is merely a cover-name for the vestigial remains of four Indo-European cases” (Waterman 30).  Diese vier Kasus – Ablativ, Dativ, Instrumental, und Lokativ – wurden in den modernen synthetischen Sprachen zum Teil bis heute erhalten.  Im Deutschen aber werden sie normalerweise durch eine Präposition plus dem Dativ ausgedrückt, wie in der Präpositionalphrase „mit dem Bleistift.“  Auch im Verbsystem des Deutschen findet man viele analytische Strukturen, z.B. “Hilfsverben wie werdenseinhaben,würde für Passiv, Futur, Perfekt, [und] Konjunktiv“ (Polenz 20-1).  Wie diese Beispiele zeigen, ist es nicht so leicht, die deutsche Sprache in eine bestimmte Klasse einzuordnen.  Um zu verstehen, warum dies so ist, muss man erst die morphologische Entwicklung des Deutschen untersuchen. 

3. Morphologische Entwicklungen

3.1. Formenausgleich

In früheren Sprachstufen war Deutsch – womit die zahlreichen Dialekte im deutschsprachigen Raum gemeint sind – eine überwiegend synthetische Sprache.  Dies folgt aus der Tatsache, dass Deutsch eine indo-europäische Sprache ist, und dass Urindo-Europäisch höchst synthetisch war (Polenz 12-13).  Aber trotzdem kann man eine allgemeine Tendenz zu analytischen Strukturen schon im Althochdeutschen (etwa 750-1050 n.Chr) finden.  In den meisten Fällen liegt der Ursprung dieser Tendenz in der germanischen Akzentfestlegung, die erst im urgermanischen Zeitraum (etwa 500 v.Chr. – 750 n.Chr) erschienen ist.  „Im Urgermanischen verlagerte sich der vorher freie Akzent...auf die Stammsilbe, die das Hauptgewicht des Wortinhalts trägt“ (Moser 78).  „So konnte etwa [das lateinische Wort] „monastérium“...zu [dem althochdeutschen] múnistri, [und schließlich zu] “Münster“ werden (Moser 78).  Wie dieses Beispiel zeigt, hat die germanische Akzentfestlegung oft eine Endsilbenabschwächung mit nachfolgendem Schwund verursacht.  Dieses Phänomen hatte einen entscheidenden Einfluss nicht nur auf die morphologische Entwicklung von Lehnwörtern, sondern auch auf die Deklination von einheimischen Wörtern des Deutschen.  Zum Beispiel “wurden die vollen Endsilbenvokale bereits im Spätalthochdeutschen zu /e/ (das phonetisch als Murmellaut [ǝ] zu imaginieren ist) abgeschwächt“ (Ernst 148).  Im Frühneuhochdeutschen (etwa 1350-1650 n.Chr.) ist auch dieses /e/ fast völlig verschwunden, z.B. „dem Tische > Tisch“ (Ernst 149).  „Als Folge dieser Endsilbenabschwächung...wurde die Kasusunterscheidung undeutlich“ (Ernst 148-49).  Auf diese Weise ist eine der wichtigsten Eigenschaften des synthetischen Sprachbaus allmählich verloren gegangen.  

Auch im Verbsystem führte die Endsilbenabschwächung zu Undifferenzierbarkeit in der Konjugation.  Im Althochdeutschen waren „die... Personalendungen starker und schwacher Verben „durch differenzierte Vokale gekennzeichnet, die Oppositionen für Person, Modus und…Tempus ausdrückten.  Die Abschwächung von Flexionen[reduzierte] ihre morphemischen Oppositionen, da viele zu homonymen Morphen wurden“ (Wells 180).  Zum Beispiel gab es im Althochdeutschen noch eine Opposition zwischen der ersten und dritten Person Plural Indikativ Präsens, die es im modernen Deutschen nicht mehr gibt.  So hießen etwa die Verbformen „wir werfen“ und „sie werfen“ im Althochdeutschen „(wir) werfemēs“ und „(sie) werfent“ (Bergmann 28).  Auch im Mittelhochdeutschen (etwa 1050-1350) findet man Unterschiede in der Verbmorphologie, die mit der Zeit weggefallen sind.  So gab es im Mittelhochdeutschen noch einen Unterschied zwischen dem Indikativ und Konjunktiv in der zweiten Person Singular Präteritum.  Das indikative „du rittest“ hieß „rite,“ und das konjunktive „du rittest“ war „rites(t).“  Aber weil die Form „rite“ „unregelmäßig war, wurde [sie] immer mehr ersetzt, gewöhnlich nahm sie die Endung –st an, die im Indikativ und Konjunktiv Präsens üblich war“ (Wells 181).  Durch solche Entwicklungen wurden die verschiedenen Verbformen immer ähnlicher; und genau so wie dies in der Deklination von Nomen der Fall war, führte diese heranwachsende Ähnlichkeit zur syntaktischen Unklarheit. 

3.2. Das Aufkommen von analytischen Strukturen

Mit dieser Unklarheit ist das allmähliche Aufkommen von analytischen Strukturen verbunden.  Im Bereich der Nomen kann man diese Entwicklung an der Entstehung von Artikeln am besten erkennen.  Sowohl im Urindo-Europäischen als auch im Urgermanischen gab es keine bestimmten oder unbestimmten Artikel.  Auch im Althochdeutschen wurden die Artikel nicht immer benutzt, z.B. „Sang was gisungan, wîg was bigunnan, (das) Lied wurde gesungen, (die) Schlacht wurde begonnen“ (Wells 247).   Wie im Lateinischen waren solche Artikel syntaktisch unnötig, da die verschiedenen Kasus durch Endungen ausgedrückt wurden.  Aber als diese Endungen abgeschwächt und dadurch undeutlich wurden, mussten die Kasus auf eine andere Weise angezeigt werden.  Im Zusammenhang mit dieser Notwendigkeit hat sich der bestimmte Artikel aus „einem ursprünglichen Demonstrativpronomen“ entwickelt (Wells 247).  Ihre Anwendung findet man gelegentlich im Althochdeutschen, z.B. „Vzer dero tîefi dero sundon rûofta ih zu dir truhten. Aus der Tiefe der Sünden rief ich zu dir, Herr“ (Sonderegger 264).  Im Mittelhochdeutschen aber ist „der artikellose Gebrauch des Substantivs...schon sehr eingeschränkt“ (Sonderegger 264-65).  

Wie man sich wahrscheinlich vorstellen kann, hatte diese analytische Struktur einen Einfluss auf die Wortstellung.  Im Althochdeutschen gab es „keine feste Regel in der Verbindung von Possessivpronomen/Adjektiv und Substantiv“ (Sonderegger 282).  Auch in einigen frühmittelhochdeutschen Texten ist dies manchmal der Fall.  So findet man etwa “vil lieber bruoder mîn“ statt „mein sehr lieber Brüder“ (Sonderegger 280).  Aber schon im mittelhochdeutschen Zeitraum, als der Gebrauch von bestimmten und unbestimmten Artikeln immer mehr an Raum gewonnen hat, gab es eine „Verfestigung der Stellung Adjektiv + Substantiv…beziehungsweise Possessivpronomen + Substantiv” (Sonderegger 280, 282)  Das Aufkommen von analytischen Elementen in der Nominalenphrase führte zu einer strengeren Wortstellung in derselben.

Im Zusammenhang mit dem Formenausgleich im Verbsystem spielten analytische Strukturen eine ähnliche Rolle.  Dies erkennt man zum Beispiel an dem Gebrauch des Personalpronomens.  In althochdeutschen Texten kommen die Personalpronomen eher selten vor, z.B. “nidargisatzta mahtîge fon sedale,“ (Er hat die Gewaltigen von dem Stuhl gestoßen) (Wells 247).  Wenn sie benutzt werden, dann ist es normalerweise, um die Person des Verbs hervorzuheben (Wells 252).  Im Mittelhochdeutschen, auf der anderen Seite, sind „sie die Regel geworden“ (Wells 252).  Diese Entwicklung kann man als Folge der Endsilbenabschwächung sehen.  Zum Beispiel sind die früher erwähnten althochdeutschen Verbformen „(wir) werfemēs“ und „(sie) werfent“ im Mittelhochdeutschen „(wir) werfen“ und „(sie) werfent“ geworden (Bergmann 239).  Weil die Endungen –en und –ent relativ ähnlich sind, wurde das Personalpronomen wichtiger, weil es die Person des Verbs viel deutlicher ausdrücken konnte.  Auch im Zusammenhang mit der Bezeichnung des Tempus haben sich analytische Strukturen entwickelt.  Im Althochdeutschen gab es wesentlich zwei Tempusformen: Präsens und Präteritum (Wells 259).  Im Mittelhochdeutschen aber hat sich das Perfekt aus dem Adjektiv entwickelt:  „im Deutschen war das [Partizip]...urspünglich adjektivisch und stimmte im Falle eines transitiven Verbs mit dem Objekt...überein.  Jedoch waren die Flexionsendungen bald verschwunden und das [Partizip Perfekt] ein Teil der Verbmorphologie geworden“ (Wells 262-63).  Auf diese Weise hat eine analytische Struktur das Präteritum wenigstens in der Umgangsprache ersetzt. 

3.3. Entwicklungen im Konjunktiv

Genau so wie die Tempusformen, ist die Entwicklung des modernen Konjunktivs von dem Aufkommen von analytischen Strukturen charakterisiert.  In Bezug auf die Nachstellung des finiten Verbs in Nebensätzen ist diese Entwicklung besonders wichtig.  Im Alt-und Mittelhochdeutschen „wurde zur Unterscheidung...deutscher Neben-und Hauptsätze manchmal nicht die Wortstellung, sondern der Konjunktiv verwendet“ (Wells 272).  So findet man in Walter von der Vogelweide „mînes herzen tiefiu wunde diu muoz iemer offen stên si enküsse mich [ = ,wenn sie mich nicht küßt‘] mit friundes munde” (Wells 273).  Wie dieses Beispiel zeigt, musste das Verb im Nebensatz nicht unbedingt am Ende kommen, obwohl es dort stehen könnte, wie zum Beispiel in Hartmann von Aue: „an ein daz schœneste gras daz sî in dem boumgarten vant“ (Sonderegger 266).  Im Allgemeinen hat der Gebrauch des Konjunktivs eine freiere Wortstellung in Nebensätzen möglich gemacht (Wells 272).  Dies kann man leicht verstehen, in Anbetracht dessen, dass der Konjunktiv durch Flexionsmorpheme ausgedrückt wurde, die ihn noch in den meisten Fällen vom Indikativ unterschieden.  Zum Beispiel war die konjunktive Verbform von „[wir] wellemēs“ im Althochdeutschen „[wir]wellēm“ (Bergmann 230).  Weil solche Flexionsmorpheme den Modus des Verbs deutlich zeigten, war eine strenge Wortstellung nicht nötig.  Aber als die Rolle dieser Morpheme abgeschwächt wurde, und sie schließlich verschwanden, war eine andere Unterscheidung von Haupt-und Nebensätzen vonnöten.  

Wie im Fall des Perfekts haben sich analytische Strukturen allmählich entwickelt, die den Konjunktiv ausdrücken können.  Auf diese Weise ist der sogenannte Konjuntiv II (Ausdruck des Hypothetischen) entstanden, der mittels „der einfachen würde-Form“ die früheren Formen vermeidet, z.B. ich würde ihm so gerne geholfen haben (Sonderegger 272).  Diese Struktur ist Konjunktiv, indem sie das Hypothetische ausdrückt.  Im Alt-und Mittelhochdeutschen aber hatte der Konjunktiv noch eine weitere Funktion, die nichts mit dem Hypothetischen zu tun hat.  In Nebensätzen wurde der Konjunktiv benutzt, nicht um einen hypthetischen Gedanken auszudrücken, sondern um „Themen in den Vordergrund oder Hintergrund der Überlegung eines Sprechers [zu rücken]” (Wells 276).  Anders ausgedrückt hat der Konjunktiv gezeigt, dass ein Gedanke oder Satz einem anderen unterworfen war.  Auf diese Weise hat er verschiedene Sätze in “Relief“ gesetzt (Wells 276).  Bespielsweise findet man eine ähnliche Verwendung des Konjunktivs in lateinischen Nebensätzen und auch in der indirekten Rede (Konjunktiv I), z.B. der Präsident sagte, dass er kommen werde.  

Als die Flexionsmorpheme im Indikativ und Konjunktiv ausgeglichen wurden, wurde die würde-Form, d.h. Konjunktiv II, zunehmend benutzt.  Aber sie konnte diese Idee von „Relief,” die der Konjunktiv in alt-und mittelhochdeutschen Nebensätzen getragen hat, nicht genau ausdrücken.  Außerdem hat sich keine neue analytische Verbform entwickelt, die diese Idee möglicherweise ausdrücken könnte (Wells 273-74).  So ist im Frühneuhochdeutschen der Unterschied zwischen Haupt-und Nebensätzen sehr undeutlich geworden.  Zum Beispiel findet man in Luthers Bibelübersetzung von 1545 den Satz „Vnd da war ein Weib das hatte den Blutgang zwelff jar gehabt...“ (Wells 274).  In diesem Satz kann das Wort ‚das’ entweder ein Demonstrativ – oder Relativpronomen sein (Wells 274).  Der zweite Satzteil ist demnach entweder ein zweiter Hauptsatz oder ein Nebensatz.  Logischerweise ist er ein Nebensatz, aber weil es keine besondere Verbform oder Wortstellung gibt, die die zwei Sätze voneinander unterscheidet, ist dies nicht eindeutig.  Diese Zweideutigkeit wurde endlich im späten siebtzehnten und achtzehnten Jahrhundert beseitigt, als die Schulgrammatiker angefingen, die Nachstellung des finiten Verbs in Nebensätzen vorzuschreiben (Wells 276).  So schrieb Kasper Stieler in seiner Kurzen Lehrschrift von der Hochteutschen Sprachkunst (1691):

Die Fügweise der Zeitwörter sparet allemal ihr ganzes Zeitwort auf die letzte: sonderlich / wenn die Wörtlein: daß / wenn / so / wofern / sich dabey einfinden.  Als: glaubt ihr nicht / daß ich euch wegen eurer treuen Dienste belohne / oder belohnen werde (Sonderegger 281). 

Die Subjekt-Objekt-Verb-Wortstellung hat den Konjunktiv in Nebensätzen endgültig ersetzt.  Im Zusammenhang mit dieser Arbeit aber ist die große Frage: warum? 

4. Die Entstehung der modernen Wortstellung in Nebensätzen

4.1. Der Mythos des lateinischen Einflusses

Die konventionelle Ansicht war, dass diese Wortstellung hauptsächlich aus dem Lateinischen gekommen ist.  Weil es im alt-und mittelhochdeutschen Zeitraum so viele Übersetzungen aus dem Lateinischen gab, und weil die Humanisten im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert glaubten, „dass die [lateinische] Rhetorik gleich gut im [Deutschen] eingesetzt werden könne,“ hat man angenommen, dass Autoren im Mittelalter einfach versucht haben, die lateinische Syntax im Deutschen nachzuahmen (Wells 217).  So findet man die folgende Erklärung für die moderne deutsche Syntaxin The Story of Civilization von Will Durant, 1950:

Monks from Ireland, England, France, and Italy labored to invent terms to translate Latin.  Sometimes they appropriated Latin words bodily into German – Kaiser, Prinz, Legende.  This was legitimate thievery; tragic, however, was the influence of Latin sentence structure – keeping the verb to the end – in changing the once simple syntax of the German people into the stiff, inverted, and breath-taking periods of the later German style (905).

Allerdings soll berücksichtigt werden, dass Durant selbst kein Linguist war, und dass sein Sachgebiet nicht die deutsche Sprache war, sondern die Kulturgeschichte der Menschheit.  Aber einige Linguisten hatten eine ähnliche Meinung.  Zum Beispiel schrieb Lambert A. Shears 1947: “the strict rule for verb position in [German] subordinate clauses [is] due to Latin influence” (105).  Und 1978 schrieb Peter von Polenz, dass „das Latein auf den Satzbau…der werdenden [deutschen] Schrift – und Hochsprache eingewirkt [hat]“ (94).  Polenz glaubt nämlich, dass Latein einen Einfluss auf die Entstehung „der deutschen Wortstellungsregeln,“ beziehungsweise auf „die Endstellung des 2. Prädikatsteils (Infinitiv, Partizip, Präverb) im Hauptsatz und die Endstellung des finiten Verbs im Nebensatz“ hatte (95).  Interessanterweise aber fügt er hinzu, dass dieser syntaktische Einfluss des Lateinischen „bis heute in der Forschung noch nicht vollständig erkannt“ sei (94).  Es scheint, also, als ob seine Behauptung keineswegs selbstverständlich ist. 

In der modernen Forschung wurde diese Behauptung noch weiter geschwächt.  Zum Beispiel schrieb Peter Ernst 2005: „die alte Ansicht, dass [die Endstellung des finiten Verbs im Nebensatz] dem Einfluss lateinischer Texte zuzuschreiben ist, gilt heute als überholt” (154).  C. J. Wells drückt 1985 eine ähnliche Meinung aus.  In Bezug auf den Satzrahmen und die Nachstellung des finiten Verbs in Nebensätzen schreibt er, dass, „direkter lateinischer Einfluß...nicht wahrscheinlich [ist]“ (278).  Aus verschiedenen Gründen darf die Möglichkeit vom lateinischen Einfluss so verworfen werden.  Erstens „pflegt…das Lateinische…finite Verben in abhängigen Sätzen nicht ans Ende zu setzen” (Wells 278), auch wenn die Nachstellung des finiten Verbs im klassischen Latein oft vorkommt.  Zum Beispiel schreibt Cicero „itaque tum Scaevola, cum in eam ipsam mentionem incidisset, exposuit nobis sermonem...de amicitia...“ (110).  Aber „das mittelalterliche und nach-mittelalterliche Latein,“ das das Deutsche am meisten beeinflusst hat, „war...in seiner Konstruktion vom klassischen [Latein] weit entfernt“ (Wells 279).  Außerdem „zeigen...andere europäische Sprachen, die vielleicht in gleicher Weise unter der Herrschaft des Lateinischen standen,...keine charakteristische Endstellung des Verbs in abhängigen Sätzen“ (Wells 279).  Aus solchen Gründen lässt sich schließen, dass der Ursprung der modernen deutschen Wortstellung nicht im Lateinischen liegt.  Um ihn zu finden, muss man nicht in einer Fremdsprache suchen, sondern in den innersprachlichen Entwicklungen des Deutschen, die vom synthetischen zum analytischen Sprachbau geführt haben.

4.2. Die eigentliche Wirkung des Lateinischen

Aber bevor näher auf den eigentlichen Ursprung der Wortstellung in Nebensätzen eingegangen wird, soll erst darauf hingewiesen werden, dass das Lateinische sicherlich einen gewissen Einfluss auf die deutsche Syntax ausgeübt hat.  Zum Beispiel kann man sagen, dass viele der analytischen Verbformen, die „in der Geschichte des Deutschen von Sprachstufe zu Sprachstufe“ immer häufiger vorkommen, mit dem Einfluss des Lateinischen verbunden sind (Sonderegger 269).  Dies war besonders der Fall in der Entwicklung der verschiedenen Passiv – und Futurumschreibungen mit „werden.“  Wie schon früher erwähnt wurde, kannte das Althochdeutsche wesentlich nur zwei einheimische Tempusformen - Präsens und Präteritum -  die im Zusammenhang mit Adverbien und präpositionalen Wendungen (wie als Zeitmarker “Morgen“ oder „seit dieser Zeit“) genauere zeitliche Bezeichnungen ausdrücken konnten (Wells 259); was das Genus Verbi angeht, war das Althochdeutsche hauptsächlich auf das Aktiv beschränkt.  Aber als Übersetzer lateinische Texte ins Deutsche übersetzten, erweiterten sie das deutsche Verbsystem erheblich.  Ursprünglich „gebrauchten [sie] den [Indikativ] Präsens (oder seltener: den Konjunktiv Präsens), um [lateinische] Futurtempora ins Deutsche zu übersetzen.”  Später aber haben sich Futur-Hilfsverben wie „sollen,“ „wollen,“ und „werden“ durchgesetzt (Wells 260).  Einen ähnlichen Vorgang sieht man in der Entwicklung des Passivs: „Am Anfang stand offensichtlich häufig der Zwang, bei Übersetzungen aus dem Lateinischen Passivkonstruktionen adäquat wiedergeben zu müssen“ (Schildt 93).  Auf diese Weise wurde die analytische Passivumschreibung mit „werden“ plus Partizip Perfekt weit verbreitet.  In Bezug auf diese Beispiele kann man sagen, dass Übersetzungen aus dem Lateinischen gewissermaßen neue Tempus – und Genusformen ins Deutsche eingeführt haben.  Aber die grammatikalischen Strukturen, mit denen diese neuen Formen ausgedrückt wurden, hatten nichts mit dem Lateinischen zu tun, denn sie sind analytisch, und Latein ist höchst synthetisch.  Das heißt, dass im Lateinischen das Passiv und das Futur nicht mit freien Hilfsverben, sondern mit gebundenen Flexionsmorphemen gebildet werden, z. B. dormiemus = wir werden schlafen.  Der Ursprung dieser Strukturen also liegt nicht im Lateinischen, sondern in innersprachlichen Entwicklungen.

Wie die Entstehung von analytischen Strukturen im Verbsystem ist das Aufkommen von Nebensätzen überhaupt auch mit dem Lateinischen verbunden.  Dies sieht man zunächst in der Entwicklung eines deutschen Konjunktionensystems, das „in althochdeutscher Zeit...in enger Verbindung mit dem Übersetzungsvorgang aus dem Lateinischen...zu verstehen“ ist (Sonderegger 285).  In den früheren Sprachstufen des Deutschen gab es wenige Konjunktionen, die für die Einleitung von Nebensätzen bestimmt waren.  Ein möglicher Grund dafür ist, dass das Althochdeutsche überwiegend von Parataxe gekennzeichnet war, und deshalb im Vergleich zum Neuhochdeutschen nicht viele Nebensätze aufwies.  So liest man in der althochdeutschen Genesis:

Kain unt sin bruder prahten ir oppher.  Kain was ein accherman, eine garb er nam.  er wolte sie oppheren mit eheren iouch mit agenen.  Daz oppher was ungename, got newolt iz inphahen... (Tschirch 176-77). 

Aber damit man lateinische Texte ins Deutsche übersetzen konnte, fing man zunächst an, den Konjunktiv im Nebensatz zu benutzen; und später haben sich Konjunktionen und Relativpronomen entwickelt, die lateinische Nebensätze genauer wiedergeben konnten (Tschirch 177-78).  Im spätmittel – und frühneuhochdeutschen Zeitraum hat das Lateinische einen sehr ähnlichen Einfluss auf das Deutsche ausgeübt.  Zu dieser Zeit entstand nämlich die Kanzleisprache, die von „verwickelten, unübersichtlichen Perioden“ charakterisiert ist (Sonderegger 291).  Diese übertriebene Verwendung von Hypotaxen war oft ein bewusster Versuch, lateinische Strukturen nachzuahmen (Wells 136).  Solche geschichtlichen Entwicklungen deuten darauf hin, dass der lateinische Einfluss wahrscheinlich die Anzahl von Nebensätzen im Deutschen vergrößert hat.  Sie zeigen uns aber nicht, wie oder warum die SOV-Wortstellung in diesen Nebensätzen verwendet wurde. 

4.3. Das Festwerden der SOV-Wortstellung

Wie schon früher erläutert wurde, war das Deutsche in seinen früheren Sprachstufen eine überwiegend synthetische Sprache, und hatte keine strengen Wortstellungsregeln.  „Im [Ur]germanischen,“ zum Beispiel, „war die Wortstellung noch sehr frei, jedenfalls ohne streng fixierte Stellungen für einzelne Satzglieder“ (Sonderegger 279).  Mehr oder weniger kann man dasselbe in Bezug auf das Althochdeutsche sagen, das noch eine „relativ freie Stellung des finiten Verbs“ aufwies (Sonderegger 282).  Mit dem Aufkommen von analytischen Strukturen wurde die Wortstellung nach und nach strenger.  Aber im Mittel-und Frühneuhochdeutschen ist die SOV-Wortstellung in Nebensätzen noch nicht fest.  Zwar existiert sie bereits, allerdings ist nur eine von vielen möglichen Wortstellungen sowohl in Haupt – als auch in Nebensätzen.  C. J. Wells schreibt:

syntaktische...Einschränkungen in der Stellung des Verbs trafen für das sechzehnte Jahrhundert nicht in gleichem Maße zu: [die SOV-Wortstellung] konkurrierte mit anderen Reihenfolgen [wie zum Beispiel SVO, OVS, und VSO] für die Hauptsatz-Wortstellungen und war noch nicht mit unterordnenden Konjuntionen und Partikeln verknüpft worden.  (272). 

Statt einer bestimmten Wortstellung, wurde der Konjunktiv benutzt, um Nebensätze von Hauptsätzen zu unterscheiden (Wells 272).  Aber als die Flexionsmorpheme, die den Konjunktiv vom Indikativ unterschieden, abgeschwächt wurden, und schließlich weggefielen, wurde es fast unmöglich, einen Haupt-von einem Nebensatz zu unterscheiden.  Konjunktionen und Relativpronomen hatten sich noch nicht hinreichend entwickelt, um allein diesen Unterschied zu machen.  Zum Beispiel handelt es sich in dem früher erwähnten Satz von Luther  - „Vnd da war ein Weib das hatte den Blutgang zwelff jar gehabt...“ – entweder um ein Demonstrativ – oder ein Relativpronomen; in den meisten Fällen unterschied sich das neutrale Demonstrativpronomen „das” noch nicht deutlich genung von der heutigen Konjunktion „dass.“  So findet man in Otfrid von Weissenburg „joh gizálta in sar tház: thiu sálida ín was“ (Tschirch 180).  Hier gehört das Wort „tház,“ das man heute mit der Konjunktion „dass“ übersetzen würde, „als Demonstrativ zum ersten Satz“ (Tschirch 180).  In diesem Beispiel handelt es sich scheinbar nicht um einen Haupt – und einen Nebensatz, sondern um zwei selbstständige Sätze.  Noch in Luthers Bibelübersetzung findet man diese Zweideutigkeit, denn auch Luther hat sowohl den Demonstrativ als auch die Konjunktion einfach als „das” geschrieben (Wells 211).  Deshalb war es nicht unbedingt klar, ob das Wort „das“ als ein Demonstrativ des ersten Satzes, oder als eine verbindende Konjunktion angesehen werden sollte.  Offensichtlich benötigte das Deutsche eine Struktur, die Neben – oder Relativsätze von Hauptsätzen deutlich unterscheiden konnte.

Diese Lösung wurde in der SOV-Wortstellung gefunden, die ab dem 15. Jahrhundert immer üblicher und verbreiteter wurde (Ernst 154).  Aus verschiedenen Gründen kann man sagen, dass diese Wortstellung ein einheimisches Element des Deutschen ist, die nicht aus dem Lateinischen kam.  Dafür spricht die Tatsache, dass sie schon in den frühesten Sprachstufen des Deutschen vorhanden ist.  Zum Beispiel war „die Endposition [des finiten Verbs] in den frühesten Formen germanischer abhängiger Sätze möglich“ (Wells 275).  Im Alt – und Mittelhochdeutschen kam die SOV-Wortstellung sicherlich vor; sie war jedoch noch nicht die Regel.  Dies ist leicht zu verstehen, denn in seinen früheren Sprachstufen war Deutsch eine überwiegend synthetische Sprache, deren Wortstellung frei war, weil sie keine Bedeutungen tragen musste.  Einen ähnlichen Zustand findet man in anderen modernen synthetischen Sprachen wie zum Beispiel im Russischen.  Es ist daher wahrscheinlich, dass verschiedene Wortstellungen in den früheren Sprachstufen des Deutschen hätten entstehen können, ohne vom Lateinischen beeinflusst zu werden.  

Auch verschiedene Eigenschaften der deutschen Übersetzungen aus dem Lateinischen deuten darauf hin, dass die Endstellung des finiten Verbs nicht aus dem Lateinischen kam.  Wie schon erwähnt ist es zweifelhaft, ob die mittelalterlichen Texte, die das Deutsche am meisten beeinflusst haben, die Endstellung des finiten Verbs überhaupt aufwiesen.  Aber es wird angenommen, dass diese Wortstellung urspünglich entstanden ist, weil deutsche Autoren die lateinische Syntax nachgeahmt haben.  Im diesem Fall müsste erklärt werden, warum diese Autoren die SOV-Wortstellung auch verwendet haben, wenn sie sich nicht im originalen lateinischen Text befand, denn dies findet man bereits in althochdeutschen Übersetzungen, z.B. lignum quod plantatum est secus decursus aquarum: der bôum, der bî demo rinnenten wazzare gesetzt ist (Tschirch 180).  

Die Tatsache, dass diese Wortstellung oft selbstständig erschienen ist, zeigt, dass  sie viel mehr als eine bloße Nachahmung ist.  Die SOV-Wortstellung hat sich im Deutschen allmählich durchgesetzt, weil sie angefangen hat, eine Bedeutung zu tragen.  Diese Entwicklung steht im starken Kontrast zum Lateinischen, in dem die SOV- Wortstellung hauptsächlich ein stilistisches Element ist.  In dem früher angeführten Satz von Cicero zum Beispiel ist es klar, dass „cum in eam ipsam mentionem incidisset“ ein Nebensatz ist, nicht weil das Verb am Ende steht, sondern weil es im Konjunktiv ist, und mit der Konjunktion „cum“ erscheint.  Die Wortstellung also ist wesentlich eine Frage vom Stil.  Im Deutschen, aber, hat die Wortstellung einen Einfluss auf die syntaktische Bedeutung des Satzes.  Sie trägt die Bedeutung, die der Konjunktiv in früheren Sprachstufen getragen hat.  So erläutert Fritz Tschirch den folgenden Beispielsatz im Althochdeutschen: 

Hêrro, ih thicho ze dir: thaz wazzer gâbîst dû mir.  Hier ist die zweite Aussage der ersten dadurch untergeordnet, daß ihr Prädikatsverbgâbîst in den Konjunktiv gesetzt ist in hörbarem Unterschied zu dem Indikativ des ersten Prädikatsverbums thicho.  Um das gleiche Ziel zu erreichen: die zweite Aussage der ersten unterzuordnen, drängen wir sie in einen Nebensatz ab: ,Ich bitte dich herzlich (darum), daß du mir solch Wasser schenkst...‘ (177-78). 

Die SOV-Wortstellung ist fest geworden, weil sie eine Bedeutung trägt.  In diesem Sinn ist sie genau so wie die anderen Wortstellungen im Deutschen, die sich langsam entwickelt haben, als neue analytische Strukturen entstanden sind, die der Wortstellung eine größere Bedeutung verliehen.  Sie ist von dem Aufkommen von analytischen Strukturen nicht zu trennen.  Aber gleichzeitig ist sie eine Folge von früheren, d.h. synthetischen, Sprachstufen, in denen die SOV-Wortstellung durchaus möglich war.  Kurz gesagt ist die Endstellung des finiten Verbs in Nebensätzen ein Erzeugnis von den synthetischen Strukturen der Vergangenheit und den analytischen Strukturen der Gegenwart. 

5. Zusammenfassung

Im 18. und 19. Jahrhundert wurde die deutsche Wortstellung in Nebensätzen manchmal als ein Problem angesehen.  Einige Linguisten haben sogar behauptet, dass sie dem klaren Denken nicht förderlich sei, und deswegen zugunsten einer “einfacheren,“ dem Englischen ähnlicheren Wortstellung abgeschafft werden solle (Shears 106).  Diese Behauptung war oft mit der Ansicht verbunden, dass die SOV-Wortstellung eine fremde Struktur ist, die aus dem Lateinischen kam.  Aber wie diese Arbeit zeigt, ist die Entstehung dieser Wortstellung bei weitem nicht so einfach zu erklären.  Die SOV-Wortstellung hat sich langsam und diachron mit der deutschen Sprache selbst entwickelt.  Die Tatsache, dass sie überhaupt erschienen ist, ist den synthetischen Strukturen des Deutschen zuzuschreiben, die verschiedene Wortstellungen ermöglicht haben.  Sie ist aber dann erst fest geworden, als das Deutsche analytische Strukturen entwickelt hat, die der Wortstellung einen neuen Stellenwert verliehen.  Nur im Zusammenhang mit der Entwicklung des ganzen deutschen Sprachsystems, also, kann ihre Entstehung und Entwicklung verstanden werden.  Vielleicht erklärt diese Verbundenheit, warum diese Wortstellung noch existiert, und warum Muttersprachler sie in der Regel nicht als problematisch ansehen.  Zum Beispiel schrieb Erich Drach 1937 in Bezug auf die deutsche Tendenz, grammatikalische Elemente zu trennen, die aus dem Blickwinkel von Nicht-Deutschsprachigen zusammengehören:

Wer als Deutscher sich selbst beobachtet [sic], wie er muttersprachlich denkt, empfindet – genau das Gegenteil von Trennung oder Aufspaltung, nämlich mit großer Entschiedenheit das Zusammenfassen (Shears 106). 

Aus diachroner Sicht verstärkt Drachs Beobachtung die These, dass Strukturen wie der Satzrahmen und die SOV-Wortstellung in Nebensätzen natürliche Elemente des Deutschen sind.  Aus synchroner Sicht aber wirft dieses Zitat eine sehr interessante Frage auf, nämlich die nach der Bedeutung der Wortstellung überhaupt.  Wie gesagt, wird die deutsche Wortstellung manchmal von Nicht-Deutschsprachigen als umständlich oder unlogisch beschrieben - als ob man sagen könnte, dass eine Wortstellung logischer als eine andere ist, oder dass es eine bestimmte Wortstellung gibt, die dem logischen Denken besonders förderlich wäre.  Die Fortdauer von scheinbar „unlogischen” Strukturen im Deutschen aber deutet vielleicht darauf hin, dass dies nicht der Fall ist, und dass die Deutlichkeit oder Übersichtlichkeit einer Wortstellung vielmehr von dem bestimmten Sprachsystem abhängt, in dem sie sich befindet. 

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